Tagebuch - Christoph & Lollo

Dezember 2003 bis Jänner 2004:

  • 04.12.03: Chelsea (17. Geburtstag), Wien
    Ist ja schon wieder viel zu lange her. Gefühlsgemäß trafen wir uns beim Lollo. Dann diskutierten wir, wie immer, bei welcher U6-Station man aussteigen muss, um zum Chelsea zu kommen. Wir wissen heute auch nicht mehr, für welche wir uns entschieden. Als wir zum Chelsea kamen (zur Soundcheckzeit), wunderten wir uns über die vielen Leute, die da bereits saßen und tranken. Allmählich klärte man uns auf, dass wir Nebenrollen in einem Werbespot besetzen sollten. Die Internetplattform FM5 hatte da nämlich um Drehgenehmigung gebeten, und die anwesenden Leute waren die crowd, die wir dafür rocken sollten. Angeblich sieht in dem Spot ein junger Mann nicht über die kreischende und springende Groupie-Masse, woraufhin ihm eine junge Frau eine Bierkiste gibt, auf die sich er wiederum stellt, damit er besser sehe. Für uns bedeutete das, dass wir beim Soundcheck nicht nur den Sound checken, sondern auch etwas rockiges spielen mussten - wir wählten Felicita von Al Bano und Romina Power, das rockigste was wir können. War doch seltsam, wie die Menschen daraufhin scheinbar nahe der Auszuckung waren. Aber das mussten sie, das hatte ihnen der Regisseur vorher gesagt. Später, wir hatten vorläufig bereits zu Ende gerockt, waren die Filmdamen und -herren noch lange mit Jubeln und Springen beschäftigt, sogar bis kurz vor Einlass in den Konzertraum - (die meisten Statisten hatten am nächsten Tag große Schmerzen in den Waden, ein hartes Geschäft..) Wir mussten daweil warten, dabei wurde unter anderem versucht, der uralten Chelsea-"Backstageraum"-Gitarre, die nur mehr über 2 verstimmte Saiten verfügte, Musik zu entlocken. Hört sich Pakistanisch an. Irgendwann machten wir uns dann auf den Weg zur Bühne. Das war diesmal ein gar nicht so schweres Unterfangen, es war nicht so eng wie früher, vielleicht weil das Chelsea vor geraumer Zeit baulich umgestaltet wurde. Die Bühne hatte sich durch den Umbau besonders stark verändert, die war jetzt mehr Rocknrollbühne und weniger Intensiverkontaktzudenleutenbühne. Zum Auftritt selber gibt's wahrscheinlich nicht viel zu sagen, wenn schon, haben wir's vergessen. Unsere Leistung kam uns eher mittelmäßig vor, andererseits hat sich aber vom zahlenden Publikum auch niemand bei uns beschwert. Die meisten, die wir nach ihrer Meinung befragten, sagten, dass es eh gut war, da war uns dann nicht mehr so traurig zumute. Beim Konzert fiel uns unter anderem eine junge Dame auf, die als Quellberuf vermutlich der Signalgebung in der interkontinentalen Hochseeschifffahrt frönt. Ihre Art ihrer Begeisterung Raum zu geben hatte etwas Einnehmendes. Wir erinnern uns dunkel an andere Leute, die uns auffielen, teils durch Fragen oder Liederwünsche oder falsche Informationen bezüglich Country & Western-Plattencover, aber genaueres wissen wir nicht mehr. Am Ende waren dann wieder an die drei Stunden vergangen, als wir die Leute von uns erlösten. Dann zogen wir uns in eine dunkle Ecke zurück, wie Hunde nach dem Onanieren. Unser Oberhund wollte was von uns und befahl uns in den Backstageraum. Wir beschlossen, dass wir uns langsam aber sicher zu abgehalfterten Showwracks entwickelten, und eventuell einmal an ein Jahr Auszeit in der Betty-Ford-Klinik, einem tibetischen Kloster oder der Regionalpolitik denken sollten. Dann waren wir müde und verließen den Ort.


  • 07.12.03: Cueva, Langenwang
    In Langenwang waren wir noch nie, nur unlängst, als wir nach Judenburg fuhren, kamen wir an der Autobahnausfahrt vorbei und dachten uns: Da kommen wir dann auch bald vorbei. Eigentlich liegt das Lokal eh direkt im Ortszentrum an der Hauptstrasse, wir suchten trotzdem ein bisschen danach. Und dann gingen wir rein ins Cueva, das, wie der Name schon sagt, etwas von einer Höhle hat, nämlich die Innenausstattung. Teilweise abgetrennte Sitzecken, oder besser gesagt Sitzmulden, strukturierten charmant den Raum. Konterkariert wurde diese Komposition von pointiert modernistischen Disco-Elementen, aufgelockert durch semitraditionelles Weidmanns- und Weihnachtsgeschmeide. Sehr, sehr freundlich waren die Menschen, die uns willkommen hießen, sie führten uns durch das Etablissement, erklärten uns, wo wir etwas essen könnten und erzählten uns viel Interessantes. Wir genossen ein gutes Abendessen in einem mit Kindern gefüllten Gasthaus, und brachten den Soundcheck hinter uns. Dann hätten wir uns normalerweise fürchterlich gelangweilt, aber wir erinnerten uns an unser Quartier, wir waren vorher schon kurz dort gewesen, und an das Fernsehgerät, das dort stand, und beschlossen uns von Toy Story ruhigstellen zu lassen. Wir warteten bis die Spannung ihren Höhepunkt erreichte, und gingen wieder zurück zur Disco, wo mittlerweile schon ganz schön was los war. In Wahrheit war es unglaublich vollgestopft, der Weg zum WC musste sorgfältig vorausberechnet werden. Die vielen jungen Leute machten uns ein bisschen nervös. In letzter Zeit bricht uns immer wieder einmal der kalte Schweiß aus dem Rücken, unsere Gesichter erbleichen und unser Glieder erstarren, wenn uns so unbarmherzig vor Augen gehalten wird, wie alt wir inzwischen sind. Also begannen wir schon einmal mit dem Angsttrinken. Eine Gratwanderung, sagen wir Ihnen. Naja, und dann mussten wir wieder einmal, wobei unsere Bühne eine Höhlenmulde neben der Tanzfläche war, und hätten wir eine Choreographie mit Hände-in-die-Höhe-strecken, so hätten wir sie nicht ausführen können. Einmal war eine Demonstration am Heldenplatz, da war ein Pkw mit Anhänger, in dem spielte eine Punkband Punkrock. Die könnten auch dort auftreten. Jedenfalls genossen wir dort relativ intensiven Publikumskontakt, wodurch uns auch bald klar wurde, dass uns die Leute eh nicht gar so schlecht gesinnt waren. Also im Klartext, ganz ehrlich, sehr viele sangen bei den Liedern mit, da freuten wir uns sehr. Die Leute kannten unsere Lieder nämlich unter anderem daher, dass die ortsansässigen DJ´s unsere CD´s aufzulegen pflegen - Gott segne diese Racker! Es war also richtig schön dort, wir gefielen uns auch besser als beim letzten Mal. Trotzdem ein Auftritt im Zeichen des Leistungstiefs, aber unterhaltsam. Ein großer Fehler unsererseits war, der Bitte des Wirts nachzukommen, nach unserem traditionellen Schlusslied noch ein anderes zu singen. Aber einem Nachfahren des Heimatdichters Peter Rosegger tut man gerne einen Gefallen. Nach dem Konzert standen wir eigentlich nur mehr in der Gegend herum und schauten der Jugend beim Spass haben zu. Und dann schliefen wir in einer Ferienwohnung, in der ein Hansi Hinterseer-Poster über den Schlaf der Kleinen wacht.
    Bilder vom Abend gibt es auf der Cueva-website


  • 19.12.03: Arena, Wien
    Das waren schon ominöse Umstände, unter denen unser Auftritt heute zustande kam. Der Schönheitsfehler-Fanclub informierte uns per mail über unser Teilnehmen am Arena-Benefiz-Konzert für Ute Bocks Unterbringungsprojekt. Auf der Internetseite der Arena stand das selbe, doch wir hatten davon keine Ahnung, also fragten wir unseren Chef, der wusste auch nichts. Naja, und da wir aber eh nichts vorhatten und so, dachten wir uns "Warum nicht?" und verdanken diesen Auftritt somit vermutlich einem Schreibfehler, Scherz oder einem Akt bewusster Sabotage. In der Arena zeigte uns jemand unseren Aufenthaltsraum, kurz später holte er uns zum Soundcheck ab. Er erzählte uns auch, dass Schönheitsfehler aus Krankheitsgründen nicht auftreten würden. Dann hieß es wieder einmal warten. Auch für den Skero hieß es warten. Dann musste auch der Bernd warten. Dann kamen zwei Schüler von der sogenannten Graphischen und bekamen von uns das langweiligste Interview unserer Karriere zu hören. Leid tut's uns auch für die Arena, die war nämlich das Thema für die Arbeit die die Schüler zu machen hatten. Es gab auch noch gutes Essen von netter Köchin. Wir plauderten noch ein wenig über die Wahrscheinlichkeit des Untergangs der Filmindustrie im Angesicht selbstgebrannter DVDs und waren dann bereit für unseren Auftritt. Das war dann wohl einer der schlechtesten Auftritte, die wir uns jemals zu geben trauten. Vielleicht schüchterten uns die zahlreich erschienen Hip Hop- Freunde, allein ihrer Anwesenheit wegen, ein. Die wollten eigentlich Schönheitsfehler sehen, und hatten wahrscheinlich erst nach erfolgtem Kauf des Eintrittsstempels erfahren, dass sie jetzt eine gute Band weniger und eine schlechte mehr geboten bekamen. Die waren sicher nicht gut aufgelegt, und wir glauben ohnehin schon, dass die Leute knapp vorm Tomatenwerfen stehen, wenn sie unsere Darbietung erleben. Unser Auftreten war heute von Langeweile, Aneinandervorbeigerede und Humorlosigkeit geprägt, kein Vergnügen eigentlich, und wir bitten herzlich um Entschuldigung. Die Atmosphäre war aber auch Furcht einflößend: Die Zuseher und -innen saßen auf einer steil ansteigenden Tribüne im Dunkeln, und man sah nur den Rauch ihrer Zigaretten. Wie eine geheime Kommission, die über Gefängnis oder Arbeitslager entscheidet. Aber andererseits war unsere miserable Performance vielleicht auch nur der Gegenpol, den der Abend brauchte, um inklusive dem die Halle begeisternden Texta-Konzert im Anschluss eine runde Sache zu erzeugen - so hatte die große Arena-Halle beim letzten Konzert vor dem großen Umbau noch etwas von beiden Welten: Mitreißende Tanzmusik, die die Wände und die Ärsche der Besucherinnen zum Wackeln bringt, einerseits und andererseits uns halt.


  • 20.12.03: Bubble, Mödling
    Also, von diesem Bubble hatten wir ja noch nie etwas gehört. Wie sich später herausstellte, war das aber nicht verwunderlich, das Bubble existiert erst seit zwei Monaten. Mit unserem Kurzstreckentourkäfer ist das höchstens vierzig Minuten entfernt von uns. Wenn man also etwas vorhat, kann man das am selben Tag noch erledigen, wenn man will, man muss erst gegen fünf damit fertig sein und kann dann noch ins Bubble auftreten fahren. Das Bubble, so stellte sich heraus, ist ein gemütliches In-Sofas-Herumlümmel-Lokal, das durchaus fürs gediegene Hängenbleiben geeignet scheint. So wie ein richtiges Cafehaus, nur ohne Marmortische und grantiges Personal. Als wir ankamen, waren schon ein, zwei Hände voll Menschen da, die rochen aber alle stark nach Irgendwiedazugehörern, einer jedenfalls beschäftigte sich mit der Beschallungsanlage, ein paar andere hielten sich in der Nähe der Schankanlage auf, viele aßen Pizza. Schnell lernten wir die für uns wichtigen Ansprechpersonen kennen: die Chefin, den Chef, den anderen Chef, den Tonmeister, die Bierdame und die Gästelistenhüter. Wir drangen auch in den Backstageraum vor, das war eine Küche, hinreißend bunt bemalt mit der Spraydose. Die Bühnensituation versprach heute wieder direkten Publikumskontakt, und das hielt sie dann ja auch. Die Bühnensituation ist ein ehrenhafter Mann. Unser Konzert begann dann tollpatschig wie immer. Irritiert waren wir anfangs davon, dass direkt gegenüber von uns eigentlich hauptsächlich Mauer und Fenster waren, weil sich der Raum quer zu uns in die Länge streckte. Wir versuchten es zu vermeiden, während des Singens auf die weiße Wand zu starren, indem wir uns einerseits nach links bzw rechts drehten, andererseits schauten wir uns ein bisschen um, ab und zu zu Boden und im Zweifel auf die Innenseite unserer Augenlider. Im Publikum befand sich unter anderen ein Jugendlicher, der anscheinend jeden Tag beleidigt wird, weil irgendjemand, der ihn trifft, findet, dass er jemand anderem, meistens berühmten Menschen, ähnlich sieht. Das erfuhren wir erst später, aber während des Konzerts konnten wir bereits den Großteil des Publikums gut sehen, was, zugegebenermaßen, auch etwas irritierend und einschüchternd sein kann. Überdies war's a Bisserl laut. Aber so schlecht wie bei den letzten Auftritten waren wir heute nicht, und als Sportler muss man ja immer alles relativ sehen. Glück oder nicht: Im Schispringerliedersingen gibt's keine Welt- oder Europameisterschaften, es ist auch nicht olympisch, so haben wir keine Möglichkeit, absolut sicher sein zu können, ob wir lieber damit aufhören sollten. Am Schluss machten wir etwas Lustiges: Wir kündigten das letzte Lied an, spielten es, sagten "Danke! Tschüss!", standen auf bzw machten einen Schritt zur Seite, zappelten ein bisschen herum, gingen wieder zurück und spielten dann doch noch ein paar Lieder. Wir sollten auch noch ein Lied zu Ehren Harald Schmidts singen, das hat sich der Vizechef gewünscht, aber wir kennen nur eines über Anneliese Schmidt. Das hat uns gefallen. Manchen Besuchern auch. Nach dem letzten Lied unterhielten wir uns noch mit sehr vielen Leuten, wobei wir auch viele Fragen beantworten mussten: ob der Christoph wirklich so schüchtern ist, warum der Lollo Lollo heißt, ob unsere Ohrringe ein Erkennungszeichen für Schwule sind und ob wir zur donnerstäglichen Jamsession kommen wollen. Von Zeit zu Zeit kam die Luise, die Kellnerin, in den Raum und teilte dem Vizechef betriebswirtschaftliche Entscheidungen von eminenter Bedeutung mit. Da stellten wir wieder einmal fest, dass alternative Schuppen hauptsächlich von ihren weiblichen Mitarbeitern leben, die noch Getränke kühlen, Geld zählen, Rettung rufen und die Versehrten trösten, wenn die männlichen Beteiligten schon längst im Öl sind. Und; ja; das ärgste: Wir wissen ja nicht, ob das stimmt, kann gut sein, dass man unsere Gutgläubigkeit ausgenutzt hat, aber angeblich haben wir unseren ersten Kreischi, ein junges Mädchen brach während unseres (zugegeben, nicht ganz idealen) Vortrags weinend zusammen und musste gestützt, in die schallärmere Ecke gebracht und versorgt werden. Das ist Rock´n´Roll.


  • 29.12.03: Gugg-Bar, Braunau
    Erst nachdem wir an einer Tankstelle eine Lampe an unserem Auto ausgetauscht hatten, konnten wir unsere Fahrt richtig beginnen. Wir waren ein wenig spät dran, weil unsere Gouvernante Bernd noch das Vaterland beschützen musste, und wir sind mittlerweile schon abgebrüht genug, in solchen Fällen einfach ein Stündchen später zu kommen, es geht sich ja eh immer alles aus. Wie wir an dieser Stelle wahrscheinlich schon öfter erwähnt haben, kommt es uns so vor, als würden die Veranstalter ohnehin davon ausgehen, dass die Künstler später als ausgemacht eintreffen; wir, die wir für gewöhnlich pünktlich eintreffen, müssen dieses Kalkül dann mit bohrender Langeweile bezahlen. Diesmal jedenfalls begann das Lokal (die Gugg-Bar) sich bereits zu füllen, als wir dort eintrafen, und wir konnten mehr oder weniger sofort den Soundcheck erledigen. Just dann trafen die Herren von der Großen Freiheit Nr. 7 ein, gingen an uns vorbei und winkten uns zu. Auch ein blasser junger Mann ohne Schnurrbart grüßte uns. Der Herr, den wir als obersten Chef betrachteten, ein fideler Bursche namens Gunnar, fragte uns dann (so wie vor ihm schon fünf andere), in welcher Reihenfolge wir, die drei Bands des Abends, denn spielen würden. Wir, die Musiker, sagten drauf "Och, uns ist das egal" und konnten durch diese Verweigerungshaltung erreichen, dass der Chef selbst eine Reihenfolge festlegte: 1.) Die Große Freiheit Nr. 7, 2.) wir, 3.) Österreichs größter Rockstar. Die Seemänner von der Großen Freiheit Nr. 7 schienen nicht ganz glücklich mit dieser Abfolge und baten uns durch die Blume darum, Plätze zu tauschen. Wir antworteten, dass es uns zwar gleich wäre, fügten aber hinzu, dass wir jetzt, ein paar Minuten vor dem Konzertbeginn, schon auf unsere spätere Startzeit eingestellt wären, und weil es ihnen scheinbar auch nicht gar so wichtig war, blieb alles beim Alten. Wie gut, dass es auch andere gibt, die ihre Wünsche nicht offen formulieren können. Als wir so im Backstageraum herumsaßen, hörten wir eine Bardame den Chef fragen: "Wie viele Leute dürfen wir noch reinlassen?" und wussten, dass die Bude jetzt voll war. Und als die fünf Seemänner begannen, von der See, den Männern und ihren Mädels zu singen, da wurde offensichtlich, dass das Publikum gut gelaunt war. Der Chef (aber nicht nur er) hatte uns im vorhinein mitgeteilt, dass er die Befürchtung hätte, wir würden gegen die Trommel, den Bass, das Cello, die seltsame Trompete, die Gitarre, die Schifferorgel und die Gassenhauer die sie interpretierten, völlig abstinken, aber als wir dann selbst auf der Bühne standen, erkannten wir, dass die Zuseher auch uns wohl gesonnen waren. Wir sahen rundherum freundliche Gesichter und hörten auch glockenhelle Stimmchen, die bei unseren Liedern mitsangen, da fühlten wir uns gleich ein bisschen besser. Ungehalten wurden die Menschen lediglich, als der Lollo sie auf den Aufdruck auf seinem Unterleiberl aufmerksam machte, dort prangte nämlich die amerikanische Flagge. Also strichen wir das Loblied auf die U.S.-Außenpolitik kurzfristig wieder aus unserem Programm und sangen stattdessen etwas über Tiere. Wie gesagt, zeichneten sich die zahlenden Gäste heute besonders durch stimmliche Mitarbeit aus, und bei unserem letzten Lied wurde uns richtig warm ums Herz, als uns ein Backgroundchor fußballstadionesken Ausmaßes das ganze I Santo California-Lied über unter die Arme griff. Überwältigt von den süßesten Gefühlen torkelten wir von der Bühne und warteten auf den Austrofred. Nachdem die Leute von den Klängen des extra eingeflogenen Royal Symphonic Orchestra und ihrer Interpretation von Crazy Little Thing Called Love bis zum Entflammpunkt aufgeheizt waren, ließ der Austrofred endlich die Bühne erstrahlen. Was folgte war eine brandheiße verschwitzte Rockshow allererster Qualität, mit der Austrofred seinen Ruf als allergrößte Rocksau des Landes eindrucksvoll unter Beweis stellte. Kein Wunder, dass er nach dem furiosen Finale seiner Performance in den Hochsicherheitstrakt des Lokals spurtete, waren doch Scharen blutjunger Groupies und Groupettes lechzend darauf erpicht, seine legendäre Manneskraft einer harten Prüfung zu unterziehen. Wir für unseren Teil führten derweil Gespräche mit laufend wechselnden Partnern und Themen, ließen uns auf Getränke einladen, verwüsteten das Buffet, versuchten uns in die ortsansässige Politik-Elite einzubringen und fühlten uns pudelwohl. Hatten wir uns bis zu diesem Zeitpunkt auch wacker gegen Bier und Wein geschlagen, mussten wir uns nun doch der Macht des Absinth beugen und ans Ende denken. Und als uns die Veranstalter schließlich beinahe mit physischer Gewalt zwingen wollten, ihren (ziemlich klischeehaften) Vorstellungen vom omnisexuellen Musikerleben nachzukommen, gingen wir schlafen.
    Danke, Martin Nagl für die Fotos:
     


  • 03.01.04: Bierstindl, Innschbruckch
    Auch heuer fand das traditionelle Berg Isel Springen Singen wieder im Bierstindl zu Fuße des Tiroler Berges statt. Jedes Jahr fürchten wir uns ein wenig, dass wir diesmal vielleicht nicht mehr nach Innsbruck dürften, aber unsere Ängste sind immer wieder unbegründet, weil der Scotti und die Vakuums uns eh jedes Jahr einladen. Nach diesem Mal sind unsere Ängste vorm nächsten Jahr aber potenziert worden. Nicht davor, dass uns die Vakuums nicht mehr einladen würden, die sind alle viel zu nette Menschen und trauen sich nicht so sensiblen Geschöpfen wie uns die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, sondern davor, dass das Wohlwollen der Innsbrucker schwinden könnte, von dem wir doch zehren wie eine Schmeissfliege von einem Malzzuckerl. Aber auch diese Angst begleitet uns schon seit den Anfängen unseres konzertanten Tuns, und mit der Zeit wissen wir schon, dass sich im Grunde alles wiederholt, und Schanzen-, Bierstindl- und Bahnhofsumbau zum Trotz, empfängt uns Innsbruck seit acht Jahren immer wieder wohlwollend. Jedenfalls waren wir unseren Wurzeln dieses Jahr ein gutes Stück näher, reisten wir doch mit dem Zug aus Wien an. Früher, als das Bahnfahren noch günstiger war, hatten wir das öfter getan, diesmal wollten wir wieder einmal wissen, was die aktuelle Speisewagenkarte so bietet. Bei der Anreise gab es wenigstens einen Speisewagen, und das war gut so. Es waren nämlich im gesamten Zug keine zwei nebeneinander- oder gegenüberliegende Plätze frei. In Innsbruck angekommen, durften wir uns erst einmal ein bisschen mit Lego und Kapla, einem Holzbausteinspiel, beschäftigen. Das weckt das Kind im Manne. Nachdem die Kinder geweckt waren, ging es ab in Richtung Berg. Das Lokal hat sich im Prinzip gegenüber dem Vorjahr nicht verändert, einzig eine besondere Version eines Tischfußballtisches stach uns ins Auge. Das musste natürlich gleich ausprobiert werden: ein kleiner 2-Mann-Wuzler, bei dem jeder Spieler einen Tormann und zwei Verteidiger bzw Stürmer steuert. Diagnose: Besser als zu zweit auf normalem Gerät zu spielen aber schlechter als in voller Besetzung. Gemeinsam mit unserem Jahre zurück liegenden 6-Leute-Wuzler-Erlebnis im Innsbrucker Z6 macht das, für uns zumindest, Innsbruck zur österreichischen Hauptstadt der abnormalen Tischfußballtische. Einige Zeit später, die wir mit aller Erfahrung gut totgeschlagen hatten, waren die "Sunnseitn Buam" soweit, aufzutreten. Zwei Männer mit Gitarren spielen G´stanzln aus Tirol, die mittlerweile zahlreich vorhandenen Zuhörerinnen und Zuhörer hörten zu. Nach einer halben Stunde waren die Sunnseitn Buam fertig, und wir nahmen ihren Platz ein, wir verbrauchen ja auch genauso viel davon. Der folgende Auftritt fügte sich nahtlos in unser aktuelles Zustandsbild als saturierte alte Säcke ein, wurde vom enthusiasmierten Publikum aber freudig angenommen. Ein paar davon erkennen wir übrigens immer wieder, manche gehen seit acht Jahren jedes Jahr zu unserem Konzert. Deswegen ist unser schlechtes Gewissen dort auch drückender, weil sich die Zuseher ein Bild von unserem Abstieg machen können und über Vergleichswerte aus anderen Tagen verfügen. Andererseits: Wer uns am Anfang unserer Karriere erlebt hat, den kann wohl nichts mehr schrecken. Nach dem Konzert jedenfalls beschwerte sich wieder niemand, zumindest nicht so richtig, manche lobten uns sogar. Auch der Scotti, der ja quasi unser ursprünglichster Chef ist, stellte uns nicht in die Ecke. Wir saßen dann eigentlich für den Rest der Zeit im Bierstindl im Backstageraum und unterhielten uns so, auch mit anderen Menschen. Das Publikum im Bierstindl pflegt sich immer rasch zu verdrücken, da ist dann auch bald nix mehr los. Außer einer Fußball-Diskussion, die vom Zaun gebrochen wurde, und der konnten wir nicht viel abgewinnen, genauergesagt ging sie uns bald ziemlich auf den Wecker. Schlussendlich gehörten wir zu den letzten Pickenbleibern an der Beerstindl-Bar und machten uns dann auf den Weg in eine Wohnung, in der wir schon vor Jahren einmal waren, wobei wir damals zur unchristlichsten Zeit die Nachbarin zu Tode erschreckten, weil wir die falsche Tür zu öffnen versuchten. Die Wohnung hatte sich im Vergleich zum letzten Mal sehr verändert, sagt der Lollo, und es gibt jetzt eine Katze. Was sich sonst noch verändert hat: Dort wo einst der beste Würstelstand der Welt war, ist jetzt das Rechenzentrum. Man kann nicht alles haben.


  • 16.01.04: Vetternwirtschaft, Rosenheim
    17.01.04: Altes Zeughaus, Herisau (KulturIsDorf)

      Spezialtagebucheintrag: Ein spannendes Abenteuer der drei Superfreunde. © Christoph.



  • 24.01.04: Kult-Kino, Wien
    Als wir noch Kinder waren, wohnten wir auf dem Laaerberg, laut Ostbahnkurti der letzte Ausläufer der Alpen. Ziemlich am Gipfel liegt der eigentliche Mittelpunkt des Grätzelchens; dort gibt es eine Schule, ein Brot- und ein Blumengeschäft, ein Wirtshaus und sogar ein Kino. Der Lollo kann sich nur erinnern, dass in dem Kino (das auch ein Theater ist) einmal Kasperltheater war, mit Fernsehaufzeichnung. Im Vergleich dazu war der Christoph ein Stammgast. Neben großen Filmklassikern von Dick & Doof, Charlie Chaplin oder Jerry Lewis sah er Aufführungen der Kalkuttas und sicher auch des Kasperltheaters. Aber eigentlich hatten wir schon lange nicht mehr an dieses Etablissement gedacht, auch unsere Besuche in dieser Gegend wurden in letzter Zeit immer seltener. Doch dann hat ein freundlicher Herr namens Rene bei unserer hochbezahlten und -angesehenen Booking-, Management- und Lebensberatungssekte angefragt, ob wir in nämlichem Kino gerne aufträten. Taten wir natürlich. Und zwar nach der Band Panjapol. Die begannen gegen halb zehn mit ihrem Konzert. Das war sehr angenehm, obwohl nur wenig Leute gekommen waren, und Rockkonzerte mit wenig Zusehern ja normalerweise ein bisschen traurig machen, aber die vier jungen Herren machten sich da keinen Kopf. Den Leuten gefiel es ohnehin gut, das spürte man. Trotzdem kam dann keine Zugabe, weil man als Rocker auf dezidierte Zu-Ga-Be-Rufe angewiesen ist. Da standen wir dann mit unseren Bechern im Auditorium, und alle schauten in unsere Richtung. "Hoppla, da muss irgendeine Bedeutung und Absicht dahinterstecken", dachten wir, und plötzlich dämmerte es uns, was der Grund war für all dies: Auftreten! Wir! Jetzt! Na dann aber ab in den Backstagekeller, wo die Backstagebetreuerinnen schon mit angewärmten Handtüchern und burmesischer Aromamassage warten. Noch ein paar Ohrfeigen und Ammoniak-Riechsalz, und dann ab on Stage. Wir warteten diesmal wie Radio-DJs auf das Ende des Zwischenmusik-Lieds, das gerade lief, und machten einen Live-Fade-In mit unserem ersten Lied. Dass das immer Milchgesicht ist, wissen wir ja, weil das mit Absicht passiert, doch wurde uns schon vor längerem und auch heute etwas dermaßen klar, dass wir es gegenüber uns selbst eingestehen mussten: Auch das zweite, dritte und oft sogar das vierte Lied sind von Auftritt zu Auftritt die selben. Auch für den Schluss haben wir mittlerweile schon einen Standard-Saalausräumer, den wir jedes mal strapazieren, so dass wir uns, tendenziell betrachtet, in Richtung kabarettistischer Programmtreue bewegen, was uns irgendwann einmal Kopf und Kragen kosten wird. Aber wir werden unter ewigen Qualen weiter Keinkonzeptschispringerliedersing-ins bestreiten müssen, denn man könnte sich uns beide als Kurven vorstellen, die gegen eine Asymptote, das Kabarett, konvergieren. Aber wir werden nie ein Teil sein!
    campus2710.org

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