Tagebuch - Christoph & Lollo

Oktober bis November 2004:

  • 08.10.04: Schloss Kuenburg, Tamsweg
    Man rief uns nach Tamsweg, in den fast schon kärntnerischen Lungau. Da waren wir noch nie! Dort wurde ein Fest veranstaltet, von dem wir im Vorhinein nicht allzu viel Genaues wussten, nur dass es lange dauert und mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat. Heute begleitete uns der Andi, den hatten wir vorher noch nie gesehen. Das Musikerleben bietet uns mehr Möglichkeiten, Menschen kennenzulernen, als es unser Privatleben je könnte.
    Die Fahrt war ein bisschen anstrengend. Es gab da eine Umleitung am Wechsel und wenn wir nur einen Tag später gefahren wären, dann hätten wir zu den ersten gehören können die da irgendeinen Tunnel benutzten, aber das brachte uns auch nicht weiter.
    Als wir in Tamsweg ankamen, dämmerte es schon. Wir fragten zwei Buben, wo denn da heute Abend ein Konzert wäre, "Keine Ahnung" sagten die. Dann fragten wir ein paar andere Buben, die wollten uns ein paar Kilometer weiter schicken, was wir fast angenommen hätten. Aber dann fanden wir ein Plakat, auf dem ein Foto von uns drauf war, wir nahmen es mit und suchten die darauf vermerkte Adresse. Als wir dort (nämlich beim Schloss Kuenburg) ankamen, sahen wir die zwei jungen Männer, die uns vorher nicht weitergeholfen hatten. Wir trauten uns aber nix sagen. Dann lernten wir gleich den freundlichen Organisator kennen. Die anwesenden Leute waren größtenteils sehr jung. Es gab keinen Alkohol aber Rauchverbot. Bei der Bar deckten wir uns mit Broschüren über den ersten Geschlechtsverkehr und die Gefahren von Piercings ein. Im Backstageraum kam es vor dem Konzert zu einem gemeinschaftlichen Fingernägelpflegen der drei anwesenden Gitarristen, auch so manches Fachgespräch über pro und contra von künstlichen Fingernägelverstärkungen konnte man verfolgen. Als erstes trat Christian Schermer auf. Der konnte nicht nur hervorragend singen und die Klampfe schlagen, sondern auch das Publikum miteinbeziehen und anmutige Bewegungen ausführen. Außerdem bediente er während des Spielens auch noch ein Mischpult und sprach verschiedene Sprachen. Nicht nur wir waren beeindruckt, auch so mancher anwesende Jüngling ist seitdem wohl vom Blues- und Rock´n´Roll-Virus infiziert. Dann spielten 12 days left. Die hatten schöne Instrumente und brachten Schwung in die Bude, hatten das Buch "Dorfpunks" aber vermutlich nicht gelesen. Bei London Calling erreichte die Stimmung einen Höhepunkt. Bei unseren Konzerten gibt es keine Höhepunkte, so wie beim Tantrasex. Wir bemühen uns meistens redlich unsere Sache gut zu machen, nicht nur aus Pflichtbewusstsein sondern auch aus prinzipieller Verzweiflung und Eigennutz. Ein schlechtes Konzert zu geben macht nämlich ziemlich unglücklich, während ein gelungenes Konzert einen mit ausgesucht feinen Super-Emotionen auffüllt, dass einem die Ohren wackeln. Heute umgab uns eine generelle Traurigkeit und Miesepeterei, die uns zwar nicht glücklich machte, dafür aber eine authentische Interpretation begünstigte. Leuchtende Augen sahen uns bis zum Schluss zu. Wir versteckten uns und tranken ein Gläschen Wasser.

  • 18.10.04: Carioca, Wien
    Also, kurz zusammengefasst ist das so: Österreich ist im Sinne der Menschenrechte verpflichtet, Flüchtlingen Asyl zu gewähren. Da das Recht auf Asyl erst in einem Gerichtsverfahren geklärt werden muss, ist Österreich ebenso verpflichtet, die Asyl-Anwärter bis zum Ausgang des Verfahrens zu beherbergen. Da die Leute, die da zum Beispiel aus Tschetschenien oder Afghanistan herkommen, meistens nicht wirklich viel dabei haben, ist es sinnvoll, ihnen Unterkunft und Verpflegung zu bieten. Arbeit ist Asylwerbern in Österreich nämlich verboten. Jetzt ist es aber seit einiger Zeit schon so, dass die verantwortlichen Politiker(innen) in dieser Sache lieber harte Sprüche klopfen, Chaos verursachen und kurz vor dem Winter Familien mit kleinen Kindern auf die Straße setzen. Im letzten Wahlkampf hatte man dann den Eindruck, da will jetzt einer den ganz besonders bösen Mann spielen. Wie auch immer: Wenn man Menschen die nichts besitzen jahrelang auf den Ausgang eines Gerichtsverfahrens warten und sie ohne Geld und Arbeitsberechtigung auf der Straße sitzen lässt, so löst man damit wohl kein Problem, sondern schafft viele neue. In manchen Gegenden Wiens sieht man seit einigen Jahren immer mehr obdachlose Asylwerber. Vermutlich aber nicht gerade in den Gegenden, in denen die vorher angesprochenen Politiker wohnen, weswegen denen das wahrscheinlich nicht so auffällt. Ute Bock ist das aber schon vor längerem aufgefallen, und sie hat begonnen, auf eigene Kosten und durch Spenden unterstützt, Asylwerber zu betreuen, zu informieren und ihnen zu helfen, unter den schwierigen Umständen ein Leben aufzubauen. Dadurch verhindert der Verein Ute Bock seit Jahren, dass Asylwerber obdachlos werden und ermöglicht ihnen überhaupt erst, vom Ausgang ihres Asylverfahrens Kenntnis zu erlangen. Eigentlich sollte doch der Staat daran interessiert sein, dass das funktioniert, denkt sich da vielleicht so mancher. Tja, ist er aber scheinbar nicht. Und solange sich da nichts ändert, ist es sinnvoll, Ute Bock zu unterstützen. Der Staat lässt aus, die Menschen müssen übernehmen. Willkommen im 21. Jahrhundert.
    Wir können diverse Vereine und Aktionen ja auf eine für uns recht angenehme Art unterstützen: Wir treten einfach auf, und das Eintrittsgeld kommt dem sinnvollen Zweck zu. Besonders einfach ist das für uns in Wien: Da brauchen wir keine große Reise auf uns zu nehmen, sondern fahren zum Beispiel einfach mit der U-Bahn. Die Bock auf Kultur-Konzertreihe findet jedes Jahr an verschiedenen Orten statt, dieses Jahr z.B. auch im schrullig-sympathischen Cafe Carioca beim Augarten. Dort hängen interessante Poster und es gibt Tiere aus Holz. Die Bühne ist relativ geräumig, man könnte aber auch sagen, es gibt gar keine Bühne, sondern einen leicht erhöhten Bereich des großen Raums dort. Das Ambiente füllte uns mit Zuversicht. Nach Bereinigung diverser technischer Kniffligkeiten absolvierten wir erst einmal einen groovigen Soundcheck. Während wir noch am checken waren, begann sich das Lokal schon zu füllen. Davon lassen sich die Allergrößten aus der Ruhe bringen, aber wir? Wir stachelten uns gegenseitig zu einer gewagt melancholischen Improvisation in G auf, während an den Tischen schon die ersten Biere und Spritzer bestellt wurden. Vermutlich der beste Soundcheck unserer Laufbahn. In Übereinkunft mit den verantwortlichen Organisatoren beschlossen wir dann, relativ pünktlich zu beginnen.
    Sensationellerweise gab es diesmal eine der seltenen Missachtungen der stabilsten unserer Konzertregeln: Erstes Lied war diesmal nicht Milchgesicht, sondern unser eigens angefertigtes Bockaufkulturlied. (Da wollte nämlich jemand vom Fernsehen ein dreißigsekündiges Lied zur Ankündigung der Aktion, das dann in weiterer Folge auch zur Bewerbung verwendet wurde). Der Rest war dann wie immer, wenn auch ein bisschen netter. Freundliche Leute waren da. Ruhig, wohlwollend und sehnsuchtsvoll saßen sie auf Sesseln und dem Boden und lauschten unseren Weisen. Wir waren ziemlich gut drauf. Das ist aber immer sehr schwierig zu beurteilen, das mit der Auftrittsqualität. Da entspricht unsere Wahrnehmung ja nicht unbedingt immer dem allgemeinen Eindruck, welchen wir manchmal auch gar nicht mitbekommen. Und oft würde ein Konzert, das in der einen Situation gut ankommt, in einer anderen Situation die Leute zum Gähnen oder Gehen bringen. Das Rock´n´Roll-Business ist ein Dschungel, und wir zwei Greenhorns sind noch ganz am Anfang.
    Später gab es noch Radio Insieme. Wir bekamen Bier und gingen zufrieden schlafen.

  • 19.11.04: Reigen, Wien
    Da hat uns vor einiger Zeit eine nette junge Frau geschrieben, die einer Organisation namens KJÖ angehört. Nanu, dachten wir, was will denn die Kommunistische Jugend von uns? Dann lasen wir das mail. Pardauz, dachten wir dann, was will denn die Katholische Jugend von uns?? Die Katholische Jugend (oder genauer: deren entwicklungspolitisches Referat Enchada) veranstaltete einen Kreativwettbewerb namens WeltFairFärben, um junge Leute dazu zu bringen, sich mit weltwirtschaftlichen Ungerechtigkeiten auseinanderzusetzen. Dazu war ein Abschlussabend mit Preisverleihung geplant; die Einnahmen sollten einem Jugendaustauschprojekt mit El Salvador zugute kommen. Wir zwei wurden gefragt, ob wir den Abend moderieren wollten. So eine Anfrage hat uns vorher noch nie erreicht. Wir dachten nach und antworteten dann, dass wir das eh alles okay finden, uns zum ordnungsgemäßen Moderieren aber nicht imstande sahen. Aber wenn sie wollten, schrieben wir, könnten wir dort ein Liedchen singen, weil wir ja eh ein passendes haben. Na gut, sagte die Katholische Jugend, dann kommt´s halt in den Reigen.
    Der Reigen ist ein nettes Lokal mit ein bisschen Kabarett-Flair. Als wir am Abend hinkamen, war die Bude dermaßen bumsvoll, dass es fast beängstigend war. Lauter junge Leute, größtenteils sehr ordentlich gekleidet und wohlgesittet. Man konnte fair gehandelte Schokoladen essen und dazu Bier trinken. Alles war gut gelaunt und freundlich. Als wir den Backstageraum suchten, landeten wir auf einer parallel stattfindenden Privatparty, wo ein Filmteam irgendwas zu feiern hatte. Wir wurden seltsam angesehen und vom Kellner gebeten, doch einen anderen Weg zu wählen. Der Christoph erkannte einen Schauspieler.
    Nachdem DiaRea Stimmung gemacht hatten, und ein junger Mann dessen Name uns entfallen ist Gitarre gespielt und gesungen hatte, und nachdem dann diverse moderationstechnische Notwendigkeiten durchgesagt wurden (eine Arbeit, die uns ja gottseidank erspart blieb), wurde unser Auftritt angekündigt. Dabei wurde die erste Strophe unseres Globalisierungslieds vorgetragen. Wir freuten uns. Unser Konzert war im wesentlichen so wie immer. Die Zuhörer waren sehr nett zu uns. Auch bei diversen regierungskritischen Textzeilen wurden wir nicht bespuckt, die Seidenschalträger verweigerten nur zeitweise den Applaus. An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Besucher von Benefiz-Konzerten sich, verallgemeinert gesprochen, durch eine besonders freundliche und positive Haltung dem Abend gegenüber auszeichnen. Wir fühlten uns pudelwohl.
    Nach uns waren dann Binder & Krieglstein dran. Da kochte die Stimmung und an jeder Ecke wurden Körper bewegt. Wir wurden langsam müde, also unterhielten wir uns noch ein bisschen mit unserem alten Freund Jörg und gingen dann bald nach Hause. Vorher fielen wir aber noch über die Buffetreste her, die das Filmteam uns übrig gelassen hatte. Musizieren macht nämlich hungrig.
    Fotos gibt es hier.

  • 20.11.04.: Herzschlag, Mehrzweckhalle Kirchanschöring
    Wir sind ja relativ unkompliziert. Wir brauchen ja keine Tourbusse, Roadies, Techniker, Betreuer, Masseure und Lastwagen. Wir haben ja nicht allzu viele Termine. Deswegen ist das ja überhaupt kein Problem, wenn uns z.B. die überaus sympathischen Springer fragen, ob wir in ein paar Tagen nach Kirchanschöring kommen wollen, um dort (nicht zum ersten Mal) Vorband beim Herzschlag zu sein. Herzschlag, so heißt das dort in der Mehrzweckhalle jährlich stattfindende Fest, das die Springer selbst veranstalten. In diesem Jahr gab es sogar zwei getrennte Konzerte an einem Tag: Am Nachmittag gab´s nämlich ein Extra-Konzert für junge Leute, vermutlich, damit die nicht so lange aufbleiben mussten. Wir waren aber dann erst bei der Spätvorstellung zu Gast.
    Auf der Fahrt sahen wir ein bisschen Schnee. In Kirchanschöring bekamen wir gutes Essen und merkten uns, dass Ein Bleifreies als Synonym für Ein alkoholfreies Bier, bitte gebraucht werden kann. Dann besuchten wir eine Art Jugendzentrum. Da gibt es nämlich so ein kleines Häuschen in Kirchanschöring, wo Jugendliche, vom Pfarrer geduldet, herumsitzen und die Abende verbringen dürfen. Da wurden wir eingeladen, weil man uns angeblich Fragen stellen wollte. Die einzige Frage, die wir hörten, war aber, ob wir ein Bier wollten. Wollten wir! Trotzdem konnten wir in diesem engen, dunklen, verschwitzten Raum das eine oder andere Gespräch beginnen. Am meisten beeindruckten uns die brennenden Tonnen vorm Eingang.
    Unser Auftritt war dann eher schlecht, es kam keine rechte Stimmung auf. Während des Konzerts riefen ein paar Leute immer wieder: Arschloch! Wichser!, immer und immer wieder: Arschloch, Wichser!. Nach einiger Zeit verstanden wir dann, dass es eigentlich Aschermittwoch hieß. Ach so! Das spielten wir aber trotzdem nicht, haben wir ja auch schon sehr lange nicht mehr gemacht. Dafür spielten wir Bastard von Petsch Moser, da freute sich das Publikum. Trotzdem miese Leistung von uns, vier minus, danke, setzen. Die Springer rockten vorschriftsmäßig, aber zu kurz. Die Mehrzweckhalle war nachher nicht wirklich sehr versaut. Mehrzweckhallen haben übrigens allesamt eine grausame Akustik. Wir trafen sehr nette Leute, die wir zum Teil auch schon früher getroffen hatten. Dann fuhren wir nach Hause, und in den schneebedeckten Feldern und gefrorenen Lacken sahen wir Weihnachten nahen.
    Fotos gibt es hier und beim Felix, so wie die da:

       

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