Tagebuch - Christoph & Lollo

Juli bis September 2004:

  • 06.07.04: Sommerphettspiele I, Wuk, Wien
    Wir sind ja quasi Auftragskünstler. Also wenn uns beispielsweise die netten Leute von FM4 fragen ob wir nicht ein Weihnachtslied für sie machen könnten, dann machen wir das. Oder wenn uns die nicht weniger netten Menschen von attac fragen, ob wir ihnen ein Liedchen spendieren könnten, dann haben wir da auch nix dagegen. Wenn uns zum Beispiel jemand mit dem schönen Namen Paul Poet fragt, ob wir bei einer Show mit Hermes Phettberg mitmachen und Lieder für die Gesprächsgäste singen wollen, dann sind wir natürlich auch gleich dabei. Der Arbeitstitel dieser Veranstaltungsreihe war ja schon sehr überzeugend: Hebt den Hermes - die 1000 unnötigsten Österreicher therapieren Hermes Phettberg. Wir waren begeistert. Drei Abende mit je drei oder vier Gästen und für jede und jeden sollten wir ein passendes Lied haben, als Vorstellung, Begrüßung und Intro gewissermaßen - was für eine Aufgabe! Problematisch war die kurze Zeit die wir hatten um die Lieder fertig zu stellen, für die Lieder des ersten Abends hatten wir cirka eine Woche.
    Am großen Abend waren wir dann ziemlich aufgeregt und ängstlich. Es war ein trüber Tag und in ganz Österreich herrschte eine gedämpfte Stimmung, weil UHBP Thomas Klestil sich in sehr kritischem Zustand und einer Intensivstation befand. Auch Hermes Phettberg, den wir kurz nach unserem Eintreffen im WUK begrüßten, war betrübt. Herr Phettberg ist übrigens ein sehr sensibler Mensch.
    Soundcheck, Bier holen, Nervosität, das war alles wie immer. Relativ neu für uns war das Geschminkt-werden, das war nötig wegen der Kameras die den Abend (genau wie die zwei folgenden) filmten, zwecks späterer Verhökerung an Fernsehsender. Und wenn Film und Fernsehen das Sagen haben, dann gibt es immer Schminke. Das erledigen meistens gut gelaunte Damen, die mit einem Spiegel und diversen Chemikalien bewaffnet sind. In diesem Fall handelte es sich um eine junge Frau, mit der man hervorragend über Krankheiten reden konnte. Wir wurden mit einem Zeug, das an unsere Hautfarben angepasst war, eingepudert. Ein seltsames Gefühl.
    Als die Bühne noch dunkel war, kletterten wir rauf und setzten uns an den Tisch der am rechten Rand der Bühne aufgestellt war. Das gesamte Bühnenbild stellte Hermes´ Wohnung dar, mit Möbeln, Zeitungen und sehr schönen großen Fotos von der Innenseite der Phettbergschen Wohnzimmerfenster. Wir hatten den strikten Auftrag, uns für das Geschehen nicht zu interessieren und Spiele zu spielen, deshalb hatten wir Karten und Geld dabei. Zu Beginn gab´s aber erst einmal ein einleitendes Lied von uns. Dann betrat der Gastgeber die Bühne und bedankte sich überschwänglich bei uns. Herr Phettberg ist ein sehr emotionaler Mensch. Außerdem ist er sehr gesprächig, und zum Punkt zu kommen, ist seine Stärke nicht. Deshalb musste der Regisseur des Abends (bzw. der Sendung) einen Mechanismus einführen, um Hermes´ Gesprächseruptionen nötigenfalls unterbrechen zu können. Dummerweise hat der Regisseur diese Aufgabe einfach uns zugeteilt - ein vibrierendes Handy gab uns jeweils das Zeichen, Hermes durch Lärm darauf aufmerksam zu machen, dass jetzt ein Gast auf die Bühne kommen sollte. Das war nicht immer ganz einfach. Der erste Gast war Renate Großbichler, Präsidentin des österreichischen Hebammengremiums. Für die hatten wir ein eher langweiliges Lied vorbereitet, das aber in nachdrücklicher Weise auf die fachliche Kompetenz der Hebammen und deren ungerechte Unterdrückung durch die Mediziner-Lobby aufmerksam macht. Dann kam Mag. Dr. Susanne Brandsteidl, amtsführende Präsidentin des Wiener Stadtschulrats. Da sangen wir ein schwungvolles Lied über Rache an ehemaligen Lehrerinnen und Lehrern. Dann hätte eigentlich der ulkige Baulöwe Richard Lugner kommen sollen, der hatte aber in letzter Minute abgesagt und wurde spontan durch Johannes Grenzfurthner (Monochrom-Mitglied, jung, viel erfolgreicher als wir) ersetzt. Herrn Grenzfurthner blieb es erspart, von uns ein Lied gewidmet zu bekommen, weil dafür keine Zeit war. Stattdessen sangen wir einfach das vorbereitete Lugner-Lied, das war eh nicht gar so schlecht. Was hätten wir denn auch anderes tun sollen, bitte? Wir sind ja keine Freestyle-Rapper, das wäre uns viel zu schwierig.
    Die Gespräche zwischen Herrn Phettberg und den Gästen waren teilweise sehr tiefschürfend und auch unterhaltsam, aber wir mussten die ganze Zeit so tun, als würde uns das gar nicht interessieren. Das war schwierig und fad. Außerdem hatten wir uns aus Angst betrunken, was die Qualität unserer musikalischen Einwürfe in den Abend auch nicht gerade steigerte. Im Grunde wurden wir an diesem Abend hauptsächlich dafür bezahlt, auf der Bühne herumzusitzen und Bier zu trinken, was, genauer betrachtet, eigentlich eh schon lange unser Spezialgebiet ist.
    In den Minuten in denen der erste Abend der Sommerphettspiele zu Ende ging, verstarb Thomas Klestil. Die Nachricht drang über Handys in die sich zerstreuende Menge im WUK-Hof. Wir trafen eine nette Dame, die wir von früher kennen, und gingen recht bald nach Hause.
    Bilder von diesem Abend gibt es hier.


  • 03.08.04: Sommerphettspiele II, Wuk, Wien
    Auch diesmal hatten wir nur ungefähr sechs Tage Zeit, um passende Lieder für Hermes Phettbergs Gesprächspartner zurechtzuschustern. Vier Gäste heute! Bei umfangreichen Recherchen fand die Text&Musik-Abteilung unseres Unternehmens heraus, dass alle vier Gäste (Lotte Tobisch, Gregor Seeberg, Miki Malör und Ronnie Seunig) etwas gemeinsam hatten: Jede/r von ihnen hatte öffentlich mit Adolf Hitler zu tun gehabt, aber keine/r mit dem echten. Das bot unserer Liedertextkoordinationszentrale die Möglichkeit, einen roten Faden in unseren Darbietungen herzustellen, es ging also in allen vier Liedern um den kleinen Mann mit Bart. Wir fanden das lustig, einige andere nicht. Aber wenn Adolf Hitler zum Beispiel den Opernball besuchen will, dann ist das ja wohl ein Ereignis, das zwei kritische junge Liedermacher bei gegebenem Anlass musikalisch verarbeiten dürfen, oder etwa nicht? Aber erst einmal wurden wir geschminkt. Dann mussten wir irgendwann auf die Bühne und die Lichter gingen aus (die im Zuschauerraum) bzw. an (die auf der Bühne). Das Gespräch zwischen Hermes und Lotte Tobisch war lustig und kontroversiell. Unser Lied für sie hat ihr wahrscheinlich nicht so gefallen. Auch das Gespräch mit Ronnie Seunig, dem stinkreichen Unternehmer, war interessant, da von Spannung und Dissens getragen. Der Text unseres Lieds hat ihm, glauben wir, schon ein bisserl gefallen (Ronnie Seunig ist sehr reich das wissen alle; Ronnie Seunig ist der reichste hier im Saaleusw). Wir mischten uns in das ganze Gerede eher wenig ein, schließlich hatten wir ja den Auftrag, als unauffällig herumlungernde Untermieter zu agieren. Allerdings mussten wir ab und zu, vom geheimen Zeichen des Regisseurs getrieben, eingreifen, um für den ordnungsgemäßen Ablauf der Dinge zu sorgen. Das machten wir für unsere Verhältnisse gar nicht einmal so schlecht. Insgesamt war´s wieder ganz lustig und auch sehr politisch. Dadurch dass wir gemeiner Weise die ganze Zeit über den alten Gröfaz sangen, war das Thema quasi bei jedem Gast aufgelegt, aber da können wir nix dafür, das fällt unter künstlerische Freiheit. War sonst was? Wahrscheinlich nicht.
    Bilder von diesem Abend gibt es hier.


  • 28.08.04: Heldenrennen, St. Gallen, Schweiz
    In St. Gallen sind wir schon weit öfter aufgetreten als zum Beispiel in Graz. Dabei ist Graz vergleichsweise ums Eck. Das liegt, bitte sehr, nicht daran dass wir Graz lulu finden und St. Gallen voll geili, nein, das liegt einfach daran, dass die Veranstalter in Graz sich eher denken "Christoph und Lollo? Naja, i waaß net.", während die Veranstalter in St. Gallen sich eher denken "Chrischtoff und Lollo? Superrr!". So ähnlich stellen wir uns das vor, in comichafter Ausführung in riesengroßen Denkblasen über dem Dach unseres Autos, während wir durch die Lande fahren. Am Weg von Wien nach St. Gallen muss man durch Bayern, sonst dauert´s länger als es müsste. Und wenn man in Bayern dann am Autobahnparkplatz Wasser lassen will, kann´s schon sein, dass ein paar Herren den Wagen durchsuchen und Reisepässe überprüfen und einen aufhalten wollen. Beim Passieren der Schweizer Grenze wurden wir dann aber nicht einmal angeschaut. Das soll einmal jemand verstehen! Das mit der EU hat uns der Geographielehrer jedenfalls anders erklärt.
    In St. Gallen kennen wir uns immer noch nicht aus. Die Veranstaltung zu der wir hinwollten war aber nicht schwer zu finden, es handelte sich um das Heldenrennen, eine Art Seifenkistenrennen, das in den Gassen eines Stadtteils St. Gallens veranstaltet wird, der wohl eher an einem Hang gelegen sein müsste, dachten wir uns und behielten recht. Das Rennen war schon in der Endphase, wir mussten noch Unterbringungstechnisches regeln und versäumten das meiste. Aber die Gefährte waren toll, ein paar besonders waghalsige Teilnehmer hatten einfach jeweils zwei Mountainbikes zusammengeschweißt, die Lenker mit Eisenstangen verbunden und waren so mit Affentempo unterwegs. Die meisten Rennfahrer und -innen waren ulkig verkleidet. Die Siegerehrung wurde von einem sehr lustigen frankophilen Lebemann vorgenommen, schwungvoll und mitreißend. Es gab gutes Essen und warmes Bier - das Bier kannten wir schon, das rinnt runter wie Öl! Die netten Leute waren schon da, und eine Bühne gab es auch, mitten am Gallusplatz, gegenüber eines großen Baums. Da sangen und spielten und redeten wir dann. Die anwesenden Mädels und Buben waren sehr brav, hatten auch keine Scham, am Boden zu sitzen. Dann lernten wir noch mehr nette Leute kennen, hatten wohl auch den einen oder anderen Spaß, und gingen irgendwann schlafen, mit dem Bild eines Turmspringers an der Wand überm Bett. Danke, St. Gallen.
    Bilder vom Rennen: hier.


  • 15.09.04: Sommerphettspiele III, Wuk, Wien
    Ein letztes mal fanden wir uns im Wuk ein, um Hermes Phettberg musikalisch beizustehen wenn er die Kompetenten empfängt. Wieder hatten wir in aller Eile drei Auftragskompositionen zu illustren Gästen zu besorgen. Für den Lollo bedeutete das im Wesentlichen intensives Nachdenken über Wörter und unverschämtes Klauen von Melodien. Für den Christoph bedeutete das im wesentlichen anstrengendes Gedächtnis- und Coolnesstraining.
    Wir wurden ein letztes mal geschminkt von der netten jungen Frau deren Namen wir wieder vergessen haben weil wir uns wichtige Sachen nie merken. Wir mussten wieder als erste auf die Bühne und wurden gezwungen, Spiele mitzunehmen, damit wir uns beschäftigen können. Hermes Phettberg war heute gut drauf, es fiel uns nicht leicht, uns mit den Schachfiguren zu beschäftigen, während nebenan hochinteressante Themen erörtert wurden. Die Gäste waren ja auch toll: zwei Grenzwissenschafter und ein Grenzfall. Also einerseits der freundliche Rothwangl Sepp, der einmal den Papst stürzen wollte und sehr glaubhaft erklären kann, dass unsere ganze Zeitrechnung auf eine Planetenkonstellation im Jahr 2000 hin gedeichselt wurde, und dann auch der sehr sympathische Krassa Peter, der sich insbesondere mit Außerirdischen und biblischen Einzelheiten auskennt. Andererseits dann der Nenning Günther, was der ist weiß niemand mehr so genau. Da war einiges zu besprechen! Zum Beispiel, dass das in der Kronenzeitung von Kurt Krenn verwendete Pseudonym Christianus "der Anus Christi" bedeuten könnte. Das war Herrn Nennings Idee, dessen provokatives Auftreten zwei Leute aus dem Publikum glauben ließ, sie müssten auf die Bühne kommen, um eine Sache zu vertreten. Die hatten dann aber nicht so viel zu sagen, was egal war, weil man gegen Herrn Nenning eh nicht ankommt. Wir zum Beispiel sangen das voll arge revolutionäre freche Lied, und der Nenning Günther lobte uns daraufhin dermaßen in Grund und Boden, dass wir ihn am liebsten um Arbeit angebettelt hätten.
    Ein netter Abend. Es war uns eine Ehre und ein Vergnügen, nach der Phettberg-Rettungs-Aktion im März 2002, dem Grandseigneur der österreichischen Sorge wieder zur Seite stehen zu dürfen. Wir mussten aber feststellen, dass wir noch immer nicht Profis genug sind, um auf Anhieb einfach so ein Lied zu spielen, ohne Aufwärmen und Einspielen und so. Einfach zack! sofort und dann wieder still sein. Und dann eine halbe Stunde später wieder ein Lied spielen. Und dann wieder keins. Und dann wieder. Das können wir nicht gut, das verursacht Stress und macht Magengeschwüre. Wir müssen wohl noch lange üben, bis wir einmal im Musikantenstadel oder bei Top of the Pops aufspielen dürfen.
    Hier gibt es eine andere Nachbetrachtung dieses Abends.


  • 18.09.04: Fest der Ebenen, Hornbostelgasse, Wien
    Das Häferl ist eine soziale Einrichtung, die sich vor allem um Haftentlassene kümmert. Außerdem veranstalten die dort gerne Feste, was uns einmal die Möglichkeit einbrachte, in einer Kirche aufzutreten, noch dazu in der größten evangelischen Kirche Österreichs, wie wir an dieser Stelle nicht zum ersten und erst recht nicht zum letzten mal betonen möchten. Und damals, als wir in der Kirche sangen, da erzählte uns der Norbert, der dort einer der Hauptorganisatoren ist, er hätte vor, ein Gassenfest zu machen Mit behördlicher Genehmigung und Bierbänken, mit Open-Air-Bühne und abgesperrter Sackgasse. Super Sache, sagten wir, ruf uns an. Und das tat er dann auch.
    Das Häferl-Gassenfest dauerte dann mehrere Tage und bot ungefähr tausend tolle Sachen. Eine der weniger tollen waren wir. Dafür hat es ein Foto von uns zu Werbezwecken auf das Cover der Margaretner Bezirkszeitung geschafft und zwar riesengroß, so als wären wir dringend gesuchte Mörder. Wir waren stolz wie Oskar und eitel wie die Pfauen. Das Häferl hat ja jetzt schon einiges für unser Ego gemacht - erst das mit der Kirche, dann das. Noch ein paar Auftritte dort und unsere Karriere ist ausreichend mit eindrucksvollen Rekorden und Erfolgen garniert.
    Das Fest war gut besucht, nette Leute, Bier vom Fass. Vorher Bluesrock. Über der Bühne eine Baumkrone, hinter der Bühne eine Mauer. Der Auftritt war so lala, oder so ähnlich, wer kann das noch wissen? Die Idee des Gassenfestes verdient jedenfalls weitere Verbreitung. Das schöne an einem Gassenfest mit Musik ist ja, dass Passanten, die ein, zwei Gassen weiter vorbeiflanieren, vom Klang der Instrumente gelockt, spontan zum Fest dazu stoßen und daran teilhaben können. Es ergibt sich eine Umdeutung des alltäglichen Wohnumfelds, eine neue Sichtweise des unmittelbaren Lebensraums in der Stadt, eine neue Lust am Einander-Begegnen. Veranstalten Sie ein Gassenfest, sofort! Wir finden´s geil, wenn wir in die Nacht reinsingen, und links und rechts sehen Hofratswitwen aus den Doppelglasfenstern und verfluchen die Beatles und das Gesindel das nach ihnen kam. Nach dem Konzert unterhielten wir uns mit freundlichen Gesprächspartnern beiderlei Geschlechts und durchwegs jugendlichen Alters. Irgendwann fuhren wir dann nach Hause, da hatten wir´s heute ja nicht weit.

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